drawing the line

Pressetext M + R Fricke Düsseldorf 2005

drawing the line

Eine Ausstellung kuratiert von Marion Fricke, Düsseldorf und Daniel Marzona, Berlin.
Künstler: Martin Gerwers, David Krippendorff, Jenny Perlin, Katharina Schmidt, Jenny Scobel

Das Medium der Zeichnung ist traditionell in einer unmittelbaren Nähe zum Denken selbst situiert. Leonardo da Vincis Skizzen können beispielsweise gleichsam als Studien zu aufwendigeren Bildwerken wie auch als verbildlichtes Durchdenken spezifischer Probleme gelesen werden und stellen somit frühe Dokumente eines quasi wissenschaftlichen Bildbegriffs dar. Demgegenüber bezeugen bereits Piranesis Architekturvisionen oder Botticellis Illustrationen zu Dantes Göttlicher Komödie das imaginative Potenzial der Zeichnung. Der Dualismus von Imago und Disegno, der sich durch die Kunsttheorie der Renaissance zieht, erscheint inzwischen ebenso überholt wie die Auffassung der Zeichnung als rein vorbereitendes Medium. Im Zuge der Moderne hat sich die Zeichnung in unterschiedlichsten Kontexten etabliert und gilt längst als vollgültiges Mittel des künstlerischen Ausdrucks. Die Ausstellung drawing the line stellt einige der neueren Entwicklungen des Gebrauches der Zeichnung innerhalb der zeitgenössischen Kunstproduktion vor.

In Martin Gerwers abstrakt-geometrischen Arbeiten spielt nicht nur die Farbe, sondern die Materialität und Oberflächenbeschaffenheit des Bildträgers eine entscheidende Rolle. Die einzelnen formalen Elemente entwickeln per se keine definierbare Identität. Die Flächen wirken in ihrer zarten Farbigkeit flach und fast substanzlos, was durch eine präzise und aufwendige Behandlung der geschliffenen Oberflächen, die einen malerischen Gestus nahezu völlig negieren, zusätzlich verstärkt wird ...

Im Unterschied zu der ruhigen und konzentrierten Wandmalerei Gerwers präsentieren sich die scheinbar klassischen Portraits von Jenny Scobel beängstigend aufdringlich. Die frontal ins Bild gesetzten Frauenbilder, welche die Künstlerin Zeitschriften oder Fotografien entnimmt, sind collageartig zusammengesetzt, denn die anonymen Gesichter werden auf Körper meist berühmter Frauen montiert. Diese Montagen überträgt Scobel als Zeichnung in einer Kombination aus Graphit und Aquarellfarben auf eine vorbehandelte Holzplatte mit einem Hintergrund, den sie häufig amerikanischen Cartoons entnimmt..

David Krippendorff greift in seinen Videos und Zeichnungen ebenfalls auf populäre Bildmotive zurück - allerdings sind diese dem Starkult Hollywoods entlehnt - die er zu unheimlichen Erinnerungsschleifen über Krieg, Emigration und Gewalt montiert. Die perfekten Kulissen aus Filmen der 30er und 40er Jahre werden in Krippendorffs filmischen Montagen als Scheinidyllen entlarvt. Alles andere als ideologiefrei erweisen sich selbst Hollywoods banale Liebesfilme als kriegsverherrlichend, frauenverachtend und propagandistisch. Die vermeintlich wertfreie Mixtur aus Erotik, Politik und persönlichem Drama, mit dem Hollywood bis heute eine wachsende Zahl an Konsumenten infiltriert, hat eine lange Tradition, die Krippendorffs Videoarbeiten mit beeindruckend einfachen Mitteln seziert und in ihrer wahren Funktion als subtile Propagandamaschine entzaubert.

Jenny Perlins Filme und Zeichnungen verdanken sich ebenso wie Krippendorffs Werke einer akribischen Auseinandersetzung mit spezifischen Entwicklungslinien innerhalb der amerikanischen Kultur und Gesellschaft. Zahlreiche ihrer filmischen Arbeiten der letzten Jahre formulieren in der Auseinandersetzung mit historischen oder aktuellen Ereignissen eine fundamentale Kapitalismuskritik, sei es dass sie beispielsweise die amerikanische Tradition des Self-Help (Selbsthilfe) bis zu ihren Ursprüngen zurückverfolgt, oder wie in Possible Models (2004) die Hintergründe der Festnahme eines somalischen Einwanderers untersucht, der bezichtigt wird, einen Anschlag auf eine Shopping Mall in Ohio geplant zu haben. In einer komplexen narrativen Struktur widmet sich Possible Models darüber hinaus drei Themenkomplexen: dem Scheitern der ersten von Victor Gruen gestalteten amerikanischen Shopping Mall, dem Vergleich von zwei Mega-Malls, der Mall of America in Minnesota und der zur Zeit im Bau befindlichen Giga-Mall in Dubai, und dem geplanten ‚Freedom Ship’, auf dem eine autonome ‚Kommune’ ausgestattet mit allem erdenklichen Luxus in einem Zeitraum von drei Jahren die Welt umrunden soll, um nebenbei den exotischen Reiz fremder Landschaften und Kulturen ‚konsumieren’ zu können.

Katharina Schmidt agiert in ihren Arbeiten mit Bildmotiven, die sie unterschiedlichen Quellen und Zusammenhängen entnimmt. Ihre Zeichnungen überträgt sie mittels Siebdruck auf Papier, wobei die so entstehenden Plakate zumeist flächendeckend auf die Ausstellungswände tapeziert werden. Als Original bleibt nur die Vorzeichnung des für den Siebdruck verwendeten Motivs. In der Arbeit für diese Ausstellung löst sich Schmidt noch deutlicher als bisher von konventionellen Präsentationsformen der Zeichnung. Die ursprüngliche Bildvorlage, ein Detail der „Cité Radieuse“ von LeCorbusier, überträgt sie auf einen großformatigen „Vorhang“, der trotz der architektonischen Gewichtigkeit des Motivs leicht im Raum schwebt. Eine Verbindung zum Ornament, welche die abstrahierende Strategie früherer Arbeiten noch kennzeichnete, kann hier nicht mehr hergestellt werden. /p>

Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte die Galerie M + R Fricke.

Press release M + R Fricke Düsseldorf 2005

drawing the line

An exhibition curated by Marion Fricke, Düsseldorf and Daniel Marzona, Berlin
Artists: Martin Gerwers, David Krippendorff, Jenny Perlin, Katharina Schmidt, Jenny Scobel

As a medium, drawing is traditionally regarded as being very close to thought itself. Leonardo da Vinci’s sketches, for example, can be interpreted as studies for more complex pictorial works, but also as the visualised analysis of specific problems; they thus constitute early documentation of a quasi scientific concept of the picture. By contrast, Piranesi’s architectural visions or Botticelli’s illustrations for Dante’s Divine Comedy already bear witness to the imaginative potential of drawing. The dualism of imago and disegno, a thread running through the art theory of the Renaissance, now appears out-of-date, as does the notion of drawing as a purely preparatory medium. In the course of the modern age, drawing has established itself in a wide range of contexts and has long been considered a fully valid means of artistic expression. The exhibition Drawing the line presents some of the more recent developments in the use of drawing within contemporary art production.

In Martin Gerwers abstract-geometric works, a decisive role is played not only by colour, but also by the materiality and surface quality of the picture carrier. The individual formal elements do not develop a definable identity per se. Their delicate colours make the surfaces appear flat and almost without substance, an impression further underlined by a precise, complicated handling of the polished surfaces, which negate painterly expression almost completely ...

By contrast to Gerwers’ quiet, concentrated mural painting, the apparently classical portraits by Jenny Scobel are disturbingly insistent. The artist takes her images of women - depicted face-on - from magazines or photographs; they are assembled using a collage-like technique, for anonymous faces are mounted onto the bodies of usually famous women. Scobel then transposes a drawing of these montages, using a combination of graphite and watercolours, onto a pre-treated panel of wood. The background is often taken from American cartoons.

In his videos and drawings, David Krippendorff also makes use of popular pictorial motifs – although these are borrowed from the star-cult of Hollywood –, which he assembles to create uncanny memory loops concerning war, emigration and violence. Krippendorff’s filmic montages reveal the perfect backdrops from films of the 30s and 40s as pseudo-idylls. Far from free of ideology, even Hollywood’s banal love films are shown to glorify war, be contemptuous of women, and as propagandist. There is a long tradition behind the supposedly neutral mix of the erotic, politics and personal drama with which Hollywood continues to infiltrate a growing number of consumers today; Krippendorff’s video works and their impressively simple means lay this bare. The spell is broken and the films’ true function as a subtle propaganda machine is revealed.

Jenny Perlin’s films and drawings, like Krippendorff’s works, stem from a meticulous investigation into certain lines of development within American culture and society. Many of her film works from recent years, examining historical or current events, formulate a fundamental criticism of capitalism, whether she follows the American tradition of self-help back to its roots, for example, or – as in Possible Models (2004) – investigates the background to the arrest of a Somali immigrant who was accused of planning a terrorist attack on a shopping mall in Ohio. Using a complex narrative structure, Possible Models also examines three other themes: the failure of the first American shopping mall designed by Victor Gruen, a comparison between two mega-malls - the Mall of America in Minnesota and the Giga-Mall presently being constructed in Dubai - and the planned ‘Freedom Ship’. An autonomous ‘commune’ – equipped with all conceivable luxury – intends to sail this ship around the world in the course of three years; to be able to ‘consume’ – in passing - the exotic attraction of foreign landscapes and cultures.

Katharina Schmidt uses pictorial motifs that originate from various sources and contexts for her works. She transfers her drawings onto paper using screen print, whereby the ensuing posters are usually pasted over the entire surface of the exhibition walls. The sketch of the motif used for the screen print is thus the only original that remains. In her work for this exhibition, Schmidt leaves the conventional presentation forms of drawing behind even more emphatically than in the past. She transfers the original pattern for the picture - a detail from “Cité Radieuse” by LeCorbusier - onto a large-format ‘curtain’, which floats airily in space despite the architectonic weight of the motif. Here it is no longer possible to discern the links to ornamentation which characterised the strategy of abstraction in her earlier works.

For further information please contact the gallery M + R Fricke.

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