COSE NATURALI - über das Wesen der Dinge
Pressetext M + R Fricke Berlin 2021
COSE NATURALI - über das Wesen der Dinge
John Beech | Herman de Vries | Sabine Groß | Sofia Hultén | Martin Schwenk
Ausstellung 12. November bis 23. Dezember 2021
Cose Naturali - wörtlich übersetzt "natürliche Dinge" - bedeutet die Darstellung von leblosen, toten oder auch reglosen Gegenständen auf der Leinwand in der europäischen Kunstauffassung. Joachim von Sandrart prägte 1675 in dem ersten großen Quellenwerk der deutschen Kunstgeschichtsschreibung Teutschen Academie der edlen Bau-, Bild- und Malereykünste den Begriff "stillstehende Sachen".
Die Definition wurde hauptsächlich auf das Genre der Malerei angewandt. Natürlich beinhaltet diese Definition ganz allgemein auch die Wirklichkeit, obwohl nach dem Physiker Werner Heisenberg es keine verbindliche Definition von Wirklichkeit gibt, denn laut der Quantenphysik ist sie grundsätzlich form- und eigenschaftslos und erhält erst im Moment der Beobachtung messbare Qualitäten.
Was bedeutet Wirklichkeit? Ist sie ein Konstrukt von Realität und Fiktion? Allgemein definiert
drückt die Beschreibung des Wirklichen Erscheinungen aus, die mit der unmittelbaren
Wahrnehmung zu tun haben.
In der aktuellen Kunst hat sich der Umgang mit der Wirklichkeit vermehrt auf die
Ununterscheidbarkeit zwischen Fakten und Fiktion, zwischen Manipulation und
Authentizität gesetzt.(Sabine B. Vogel) Die Markierung von Wirklichkeit oder auch
der realen Dingwelt ist nach wie vor präsent, ob in der Skulptur, Malerei oder
medienübergreifenden Darstellung.
Unter Bezug auf die direkte Umsetzung dieser Definition von Darstellung zeigt unsere Ausstellung eine Auswahl von Werken, die in unmissverständlicher Weise das Ding, den Gegenstand thematisieren.
John Beech ( *1964 Winchester, GB) lebt und arbeitet in New York. Sein Ausgangspunkt sind
alltägliche Dinge wie Müllcontainer, Fahrbahnschwellen, Kistenroller und Türstopper. Gegenstände, die uns ständig und überall umgeben, die wir aber nicht beachten oder die wir nur dann bemerken, wenn sie nicht funktionieren, wenn sie entweder fehlen oder uns stören. Aus dem sogenannten „zeichnerischen“ Werk der Dumpster Drawings, die eigentlich mit Enamelfarbe bemalte Fotoarbeiten sind, zeigen wir ein Beispiel von 2014.
Herman de Vries (*1931) ist bekannt für seine poetisch-radikale Auseinandersetzung mit
der Natur. In der Ausstellung ist eine auf ein weißes Blatt Papier montierte verrostete
Konservendose zu sehen, ein Fundstück, das dem Journal “a scottish diary“ entnommen ist.
Diese aus 47 Blättern bestehende Werkgruppe ist eine sehr typische frühe Arbeit (die erste
dieser Art entstand 1985), die Fundstücke aus schottischen Landschaften enthält.
Gepresst und getrocknet sind sie auf das Blatt montiert mit Fundort und -datum
versehen. Des weiteren enthält die Sammlung Fotos. Sie sind ausnahmslos Aufnahmen
aus der Natur, die mit auf den weißen Papierblättern aufgetragenden Erdproben aus fein
zerstossener Erde dieses „Tagebuch“ vollkommen machen.
Sabine Groß, die in Berlin lebt, beschreibt ihre Arbeit so: „Ein wesentliches Merkmal meiner
Arbeiten ist die Gestaltung der Objektoberflächen. In allen Fällen sind sie ‚gemacht’, arrangiert und geben etwas vor, was sie nicht unbedingt sind. Manche Werke scheinen Fundstücke einer Ausgrabung berühmter Kunstwerke zu sein (Carl Andre, Donald Judd oder Marcel Duchamp/Fountain). Die Oberflächen sehen nach Verwitterung aus. Die Natur scheint sie im Laufe langer Jahre gestaltet zu haben. Es handelt sich aber in allen Fällen um eine Patina, die aus Pigmenten, Wachsen und Lacken besteht. Die Oberflächen sind gemalt, meinen aber nicht die Malerei im herkömmlichen Sinne und sind doch ein Kommentar dazu."
Sofia Hultén (*1972 Stockholm) lebt in Berlin. Ihre Arbeiten sind getrieben von einer
experimentellen Auseinandersetzung mit den Dingen, denen wir im Alltag begegnen. Hulténs
rauhe Objekte stammen meistens aus zweiter Hand, online bezogen oder auf der Straße
gefunden. Sie tragen in sich Spuren eines früheren Lebens, deuten auf das verborgene Potential
und die parallelen Möglichkeiten ihrer kompositorischen Neugestaltung. In ihren
Arbeitsprozessen gelingt es Hultén, gewohnte Strukturen der Wahrnehmung zu umgehen und
gleichsam unerkannte Dimensionen in Alltagsgegenständen zu offenbaren. Viele ihrer Arbeiten
sind knifflige, manchmal humorvolle Demonstrationen darüber, wie Kunst, oft mehr als
Philosophie oder Wissenschaft, zwischen abstraktem Denken und ästhetischer Erfahrung
vermitteln kann. Gezeigt wird bei uns die Arbeit The Nature of things is in the Habit of
Concealing itself II von 2017.
Martin Schwenk (* 1960 Bonn) lebt und arbeitet in Düsseldorf. Schwenk verwendet
Materialien, die gewöhnlich in Baumärkten erhältlich sind. Mit Silicon, Acrylglas, Polyester,
Epoxidharz, Schaum, Kunststofffolie und/oder Gips formt und gießt der Künstler Gebilde, die
eingeschlossen oder offen ein Formenvokabular erzeugen, das sich im Spannungsfeld von
„Kreatürlichem“ und „Nichtkreatürlichem“ bewegt. Es sind Gebilde mit vegetativer, organischer
oder auch sakraler Struktur. Auf den ersten Blick erscheinen einige wie Abbilder aus
wissenschaftlichen Lehrbüchern. Die Arbeit von Martin Schwenk bewegt sich aber genau
dazwischen. Gemeint ist nicht das, was man sieht, sondern die Gebilde oder die Struktur selbst,
die der Künstler weiterentwickelt und verändert hat. Das Unbeschreibliche (oder Nicht-Zu-Beschreibende) in Schwenks Skulpturen stellt sich als wuchernde und ausquellende biomorphe
Kreaturen dar, die sich im Raum stehend, hängend oder aus der Wand wachsend ausbreiten. In
diesem Zwischenbereich von nicht mehr lebendiger - aber auch nicht toter Materie - vitalisiert
sich die Arbeit in ihrer bewußt erzeugten Manieriertheit und manchmal auch morbide
anmutenden Ästhetik.
Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte die Galerie M + R Fricke.
Press release M + R Fricke Berlin 2021
COSE NATURALI - natural things
John Beech | Herman de Vries | Sabine Groß | Sofia Hultén | Martin Schwenk
Exhibition 12 November - 23 December 2021
Cose Naturali — which translates literally as “natural things” — refers to the representation of
lifeless, dead, or motionless objects on the canvas in the European concept of art. In the first
major reference work of German art-historical writing, Teutschen Academie der edlen Bau-, Bildund
Malereykünste (1675), Joachim von Sandrart coined the term "stillstehende Sachen", or still
life. The definition applied mainly to the genre of painting. Naturally, this definition also
includes reality in a very general sense, though physicist Werner Heisenberg would say there is
no binding definition of reality because, according to quantum physics, reality is essentially
devoid of form and characteristics and only assumes measurable qualities in the moment of
observation.
What does reality mean? Is it a construct of the real and the fictive? Generally defined, the
description of the real expresses phenomena having to do with immediate perception.
In current art, the treatment of reality “has increasingly relied on an indistinguishability
between fact and fiction, between manipulation and authenticity.” (Sabine B. Vogel) Marking
reality, in the sense of indicating its dimensions, or even those of the real world of things is
present as always, be it in sculpture, painting, or cross-media representations. With reference to
the direct implementation of that definition of representation, our exhibition features a
selection of works which treat the thing, the object, unmistakably as theme.
John Beech (*1964 Winchester, GB) lives and works in New York. Beech starts out from
everyday objects such as rubbish bins, kerbstones, boxes with wheels and doorstoppers.
Objects that surround us constantly, but which we fail to notice, or only notice when they don‘t
work, go missing or disturb us. For the exhibition we have chosen a large Dumpster Drawing.
Hermann de Vries is known for his poetically radical work on nature. The exhibition presents a
rusted tin can mounted on a sheet of white paper, a found object taken from the journal “a
scottish diary.” Consisting of 47 sheets, this series is a very typical early work by the artist (the
first of this sort was created in 1985), containing found objects from the Scottish countryside.
Pressed and dried, they have been mounted on paper with the location and date of their
finding. The collection also comprises photographs. Exclusively pictures from nature, they
complete the “diary” along with samples of finely sprinkled earth applied to the white sheets of
paper.
Sabine Groß lives in Berlin describes her work as follows: "A significant characteristic of my
objects and sculptures is their appearance – especially concerning their surfaces. The surfaces
of my works are generally made up. They are arranged and pretend to be something they are
not. A significant characteristic of my objects and sculptures is their appearance – especially
concerning their surfaces. The surfaces of my works are generally made up. They are arranged
and pretend to be something they are not. All surfaces are painted. They don’t mean painting
although they are a definite comment on painting.
Some of my sculptures seem to be excavation finds of acclaimed artworks (by Carl Andre,
Donald Judd, Marcel Duchamp/Fountain). Their surfaces look old and weather-beaten. Nature
itself seems to have painted and designed these surfaces in a long period of time. Their patina
looks ‘true’, but it is not. It contains wax, pigments, lacquers and other materials which create
the special look of the work”.
Sofia Hultén (*1972 Stockholm) lives in Berlin. The work of Sofia Hultén is driven by an
experimental questioning of the things we encounter in everyday life. Hultén’s raw objects
usually come to her second- hand, sourced online or found on the street. They bear marks of a
previous life, suggesting hidden potentials and parallel possibilities in their compositional rearrangements.
Her materials often appear as fragments of a larger frame of activity, similar to a
chapter in a longer storyline. Many of her works are brain- teasing, sometimes humorous
demonstrations of the ways in which art, often more so than philosophy or science, can
mediate between abstract reasoning and aesthetic experience.
Martin Schwenk uses material commonly available in hardware stores—silicone, plexiglass,
polyester, epoxy resin, foam, plastic film, plaster—to shape and cast closed or open structures,
thereby developing a vocabulary of forms that oscillates between the creaturely and the noncreaturely.
Vegetative, organic, or even sacred in structure, some look at first glance like
illustrations from scientific textbooks. Martin Schwenk’s work, however, is settled somewhere
in-between. It is not about what one sees but the shapes or the structure itself, which the artist
has altered and further developed. The indescribable aspect of Schwenk’s sculptures presents
itself as rampant, swelling biomorphic creatures, spreading out into space—standing, hanging,
or growing from the wall. In this limbo composed of matter that is no longer alive and yet not
dead, the work draws its energy from its deliberate mannerism and occasionally morbid
aesthetics.
For further information please contact the gallery M + R Fricke.