draw stranger draw
Pressetext M + R Fricke Berlin 2011
DRAW STRANGER DRAW! Pia Linz, Nikolas M. Theilgaard, Susan Turcot
19. März – 21. April 2011
Pia Linz, Nikols M. Theilgaard und Susan Turcot zeichnen! Die Zeichnung als Träger für die Thematisierung und vor allem Sichtbarmachung gesellschaftlicher, politischer oder alltäglicher Geschehnisse.
Pia Linz (* 1964) lebt und arbeitet in Berlin.
Pia Linz beschäftigt sich mit Phänomenen der individuellen Wahrnehmung von Welt.
Dabei kristallisieren sich zwei grundlegend verschiedene Verbildlichungskonzepte von Orten
heraus. Die dreidimensionalen Haubenbilder und Gehäusegravuren, die zur Werkgruppe der
Projektionsarbeiten zählen, entwickelt sie aus einem fixen Standpunkt heraus, von dem aus sie
ringsherum die Umgebung mit perspektivischem Blick erfasst. Anders als in den Panoramen des
19. Jahrhunderts, in die sich der Betrachter stellt, blickt hier der ausgeschlossene Betrachter von
außen auf die miniaturisierte Welt der Haubenbilder und Gehäusegravuren.
Die großformatigen Bleistiftzeichnungen von Orten, die Pia Linz seit ihrem Aufenthalt in London
2005/2006 entwickelt, kommen einer kartografischen Darstellungsweise nahe und knüpfen in
modifizierter Form an ihre frühen Ortsbilder der 80er Jahre an. Oft sind es Orte ihres
unmittelbaren Lebensumfeldes, an denen sie in einem monate- manchmal jahrelangen
Arbeitsprozess Informationen sammelt, um sie schließlich in einer großen Zeichnung zu
vergleichzeitigen. Zunächst vermisst sie den Ort mit Fußschritten und erarbeitet anhand einer
selbst entwickelten Fußschrittskala einen genauen Flächenplan. Auf transportablen
Planfragmenten notiert sie akribisch unmittelbar vor Ort ihre Beobachtungen und gerät dabei in
den Sog der Miniaturisierung. Anschließend überträgt sie die Detailstudien in die Einheit der
großen Zeichnung. Während die zahllosen Fußgängerperspektiven zu einer Art Vogelperspektive
verschmelzen, wird der Ort in eine freischwebende Monade verwandelt, die nur durch feine Linien
noch an eine Fußschrittskala gebunden ist.
Nikolas M. Theilgaard (*1971) lebt und arbeitet in Berlin
Nikolas M. Theilgaards Kunst ist die sinnlich konkrete und gleichzeitig reflektierte
Auseinandersetzung mit den Aporien, in die das Anschauliche gerät, wenn die Welt als solche
abstrakter wird. Es geht ihm dabei um eine Aneignung von Welt, die sich zunächst auf eine
behutsame Weise den sichtbaren Oberflächen zuwendet, diese fixiert und freistellt, um die
gleichsam miterfassten Tiefen des Raumes und der Zeit auszuloten. Hierzu bedient sich der
Künstler zweier unterschiedlicher Medien, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemein zu
haben scheinen: der Fotografie und der Zeichnung. Es geht ihm jedoch nicht um den Gegensatz
zwischen der ‚Wiedergabe von Tatsachen, Dingen und Landschaften’ und der konzeptuellen
Aneignung von Wirklichkeit, nicht um unterschiedliche Arten der Wahrnehmung von Welt, sondern
um zwei verschiedene Methoden, die Welt zum Bild zu machen. Auf der einen Seite das Bild als
ein gerahmtes Fenster, dem wir unser Auge zuwenden, und auf der anderen Seite das Bild, das
an die Stelle des Auges tritt und dadurch den Rahmen und unseren Standpunkt unbestimmt lässt.
(Harald Uhr).
Theilgaard hat Ende letzten Jahres während seines einmonatigen Stipendiums in Damaskus eine
neue Arbeit entwickelt, in der er das Labyrinth Stadt als eine sich gerade fortsetzende Linie
untersucht. In einer Verbindung als Reisender und Kartograph, der sich auf unbekanntes
Territorium begibt, hat er seine täglichen Erkundungsgänge durch das altertümliche Zentrum der
Stadt nachgezeichnet. Wie ein sich aufrollendes Wollknäuel verstreuen sich die Linien und bilden
ein scheinbar unentwirrbares Labyrinth. Bei diesen Exkursionen bezieht sich der Künstler auf
Carsten Niebuhr der 1766 die Stadt in wenigen Tagen zu Fuß durchwanderte und eine Karte der
Altstadt gezeichnet hat.
Susan Turcot (*1966) lebt und arbeitet in London
Susan Turcot arbeitet vorwiegend mit dem Medium der Zeichnung, die in ihrem Werk ein breites
Spektrum umfasst. Von tagebuchartigen Skizzen über expressive Kohlezeichnungen bis hin zu
hoch entwickelten Liniengefügen, die auf dem Papier räumliche oder figürliche Strukturen bilden.
In ihren Zeichnungsserien, die zum Teil als zeichnerische Reportage entstehen, setzt sie sich
einerseits gegenständlich mit aktuellen politischen Themen auseinander, andererseits geht es ihr
immer auch um die Brechung der Realität im zeichnerischen Akt, indem ihre zeichnerische Hand
eine Synthese erzeugt zwischen äußerlicher Wirklichkeit, analysierendem Verstand und innerem
Ausdruck jenseits der Sprache.
Die Künstlerin zeigt u.a. eine Reihe von Bleistiftzeichnungen, die sich auf ein Ereignis der
israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen im Jahre 2004 beziehen.*
Die Zeichnungsserie entstand nach einem Foto, dass ein Berichterstatter aufgenommen hatte,
kurz nachdem ein israelischer Panzer den einzigen Zoo in Rafah zerstört hatte.
Es zeigt im Vordergrund einen einzelnen Kranich, der inmitten von Überresten eines zerstörten
Hauses steht.
Die Zeichnungen, die auf diesem Foto basieren, untersuchen das, was zum Schauplatz eines
unsäglichen Dilemmas von Verdrängung und Krisen wurde - dargestellt am Beispiel dieses einen
Tieres, das stellvertretend als überlebender Zeuge unserer unsinnigen Übergriffe steht. Das
Abbild dieses einsamen verkrüppelten Vogels zwingt uns den Spiegel vorzuhalten und über
unsere eigenen Grenzen hinaus zu sehen.
*Israelische Bulldozer und Panzer haben im Mai 2004 in Rafah/Israel und Umgebung Häuser und einen
kleinen privaten Zoo ohne Rücksicht auf Mensch oder Tier niedergewalzt, nachdem gepanzerte IDFFahrzeuge
mit Helikopter-Unterstützung im benachbarten Brazil Stellung bezogen hatten.
Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte die Galerie M + R Fricke.
Press release M + R Fricke Berlin 2011
DRAW STRANGER DRAW! Pia Linz, Nikolas M. Theilgaard, Susan Turcot
19 March – 21 April 2011
Pia Linz, Nikolas M. Theilgaard, and Susan Turcot make drawings! Drawings as carriers for the thematization, and, above all, for the visualization of social, political, or everyday events.
Pia Linz (* 1964) lives and works in Berlin
Pia Linz engages with phenomena related to the individual's perception of the world. From this
position she distills two fundamentally different concepts of the depiction of place.
Her three-dimensional cube pictures and box engravings, which can be situated together with her
"Field-of-View Projections" group of artworks, are developed from a fixed standpoint, from which
she captures her entire surroundings in a foreshortened vista. Otherwise than in the panoramas of
the 19th century, in which the viewer positions themselves, with the cube pictures and box
engravings the viewer must look on at a miniaturized world from the outside.
The large-format pencil drawings of places that Pia Linz developed during her stay in London in
2005/2006, approach a cartographic representation and, in a modified form, tie-in with her earlier
location-based pictures of the 1980s. Often they are places that formed a part of her immediate
living environment, about which she gathered information over months, sometimes years, in order
finally to position them all at the same time in a large-format drawing.
Initially she measures a location by means of pacing, and compiles, with the help of a selfdeveloped
footstep scale, an accurate plan of the space. Then, on transportable pieces of this
plan, she meticulously notes down her actual observations of the location, caught up in the pull of
the process of miniaturization. These detail studies are subsequently carried over into the unity a
large-format drawing. While these innumerable pedestrian perspectives coalesce into a kind of
bird's-eye-view, the location itself is transmuted into a free-floating Monad, which is only tied to the
footstep scale that generated it by finely drawn lines.
Nikolas M. Theilgaard (* 1971) lives and works in Berlin
Nikolas M. Theilgaard's art is a tangibly sensual, and at the same time reflective examination of
the Aporiae that the Pictorial finds itself in as the world itself becomes more abstract. He aims at a
kind of appropriation of the world, beginning with a careful evaluation of visible surfaces, fixing
them and freeing them in order to sound out their coexisting depths of space and time. For this
purpose the artist uses two different media, which at first sight seem to have little to do with one
another: photography and drawing. For Theilgaard, it is not however about a contradiction
between the "rendition of matters of fact, things and landscapes", and the conceptual
appropriation of reality; not about differing ways of perceiving the world, rather two different
methods of making a picture of the world. On the one hand there is the picture as a framed
window, to which we turn our gaze, on the other is the picture that takes the place of the eye itself
and leaves the frame and our standpoint indeterminate. (Harald Uhr)
Theilgaard developed a new work at the end of last year, during his month-long residency in
Damascus, in which he investigates the labyrinthine city with the use of a continuous line. As if he
was a traveler and cartographer, who finds himself in unknown territory, he traced his daily
walking assignments though the ancient center of the city. The resultant lines spread out like a
rolled-out ball of wool and generate a seemingly inextricable labyrinth. In these excursions the
artist makes reference to Carsten Niebuhr, who in 1766 produced a map of the old city from a few
days of wandering through it on foot.
Susan Turcot (*1966) lives and works in London.
Susan Turcot (*1966) predominantly works with the medium of drawing, which spans a wide range
in her work: from diary-like sketches to expressive charcoal drawing all the way to highly
developed spatial and figurative structures composed of lines. In her drawing series, which are in
part made as illustrated reportages, she on the one hand deals with current political topics in a
figurative way, while on the other being at all times concerned with creating a rupture with reality in
the act of drawing by establishing a synthesis between the outer reality, the analysing mind and
the inner expression that goes beyond language.
Susan Turcot is showing a series of drawings which was inspired by a photograph taken by a
journalist shortly after an Israeli tank drove through and destroyed the only zoo in Rafah. A lone
crane stands in the foreground of the picture in what seems to be the vacated remains of a house.
The drawings, based on the photograph, explore what has become a stage for a much larger
dilemma about displacement and personal crisis through an animal who stands as a surviving
witness of our senseless attack. The isolated and dislocated bird is also a compelling mirror
pushing us to see outside the limitations of the confines we construct around ourselves.
For further information please contact the gallery M + R Fricke.